Text

„Scheiß Internet“-Preis: Die Nominierungsrede für Günther Oettinger

By Barbara Wimmer on 15. September 2015 0 Comments • Tags: #netzpolitik

Gegen das “Scheiß-Internet”, in das sich die jungen Menschen “verkriechen” statt gegen herrschende Strukturen zu protestieren, polterte im Herbst 2008 der damalige ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz auf einem Grazer Diskussionspodium. Auch 2015 können technologiefeindliche Grantler und Grantlerinnen noch immer mit ihren Fehleinschätzungen im öffentlichen Diskurs punkten. Somit wurde auch dieses Jahr wieder der “Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreises für internetfreie Minuten” vergeben.

Der Preis wird gestiftet und organisiert vom Wiener KünstlerInnen-Kollektiv monochrom. Das Künster-Kollektiv beauftragt jedes Jahr eine Fachjury, um geeignete Kandidatinnen und Kandidaten auszuwählen. Der Preis wurde nun am Samstag offiziell vergeben und es gibt auch einen Mitschnitt des gesamten Events im Alten Wiener Rathaus mit allen witzig-satirisch, pfeffrigen Nominierungsreden (Audio Teil 1, Audio Teil 2).

12.09.2015, Altes Rathaus (Barocksaal) Wien. #WOLO15: Award-Gala für ausgezeichneten Kulturpessimismus // Fotocredit: Karola Riegler

12.09.2015, Altes Rathaus (Barocksaal) Wien. #WOLO15: Award-Gala für ausgezeichneten Kulturpessimismus // Fotocredit: Karola Riegler

Gewonnen haben 2015 Günther Oettinger (den Haupt- #Wolo15) und Josef Ostermayer und Wolfgang Brandstetter (den Publikums – #Wolo15), für die ich die Nominierungsreden schrieb (Disclaimer: Ich bin seit 2012/13 Jury-Mitglied.) Nachdem ich zahlreiche Anfragen bekommen habe, ob man die Nominierungsreden auch wo online nachlesen könne, komme ich dieser Bitte nach und veröffentliche meine Texte in alter WOLO-Tradition auf meinem Blog (aber: gesprochen klingt’s besser!).

Nominierungsrede von EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (2015)

Hey, Mr. Taliban.
„Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, kann [man] doch nicht von uns erwarten, dass wir ihn schützen.“
Mit dieser Aussage fiel Günther Oettinger gleich bei seinem ersten Parlaments-Hearing zum Anwärter des EU-Digitalkommissars auf. Er sagte das völlig ungeachtet dessen, dass die Fotos der Promis eigentlich in einem passwortgeschützten Cloud-Dienst gespeichert lagen und wegen der dort vorherrschenden laxen Sicherheitsvorkehrungen gestohlen wurden. EU-Digitalkommissar wurde Oettinger trotzdem. Das war vor exakt 367 Tagen. Seither ist er „Cyberkommissar der Herzen“, wie ihn das Team von netzpolitik.org nennt, das spätestens seit der Landesverrats-Affäre jedem bekannt sein dürfte.

Mr. Cyberkommissar hat seit seinem Amtsantritt in Folge vor allem viel geredet und dabei viele Dinge über das Internet und die Netzgemeinde gesagt. Auf Einladung des deutschen Bundesfinanzministeriums diskutierte er etwa mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG über Google und die Netzneutralität. Ihr wisst schon, das ist die Gleichbehandlung aller Daten und Dienste im Netz. Für Oettinger sind das hingegen „Taliban-artige Entwicklungen“. Da ist die Netzgemeinde, da sind die Piraten unterwegs, da geht es um perfekte Gleichmacherei. Da heißt es die böse Industrie.“

Nicht dass wir uns jetzt falsch verstehen, Oettinger ist selbstverständlich für Netzneutralität, wie alle Politiker aller Lager. Aber er versteht unter Netzneutralität einfach was anders als die Netzgemeinde. „Ist es wichtiger, dass im Auto hinten rechts die sechsjährige Tochter hockt, und sich Musik runterlädt von Youtube, hinten links hockt der neunjährige Bengel und macht irgendwelche Games. Ich finde Youtube runterladen hat ein paar Sekunden Zeit. Ich finde das Game kann auch mal nicht perfekt auf dem Bildschirm sein. Aber die Verkehrssicherheit, ein kommerzieller Dienst, sollten von der Netzneutralität, von diesem Taliban-ähnlichen Thema abweichen dürfen.“

Notrufsysteme und selbstfahrende Autos sollten also ausgenommen sein, von der „Gleichmacherei“. Und das, obwohl so ein Zukunftsauto noch nicht einmal Internet braucht, wie BMW verlautbaren ließ. Wie er zu diesen Ansichten kommt, erzählte der Digitalkommissar unlängst einem meiner Kollegen: Oettinger trifft sie schließlich alle: die Lobbyisten aus der Industrie. Wann und wo, erfährt die Öffentlichkeit aber nicht. Als er dann kürzlich in seiner Funktion als Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft auch mal ein paar Vertreter der Zivilgesellschaft traf, setzte Oettinger allerdings gleich einen neuen Lobby-Transparenz-Standard: Er kündigte das Treffen mit zwölf Tweets an. Das muss ein wahrlich einzigartiges Ereignis gewesen sein, wie es scheint.

21554146652_c61a5467f0_b

Auch zum Urheberrecht hat Mr. „Sie sind ein Taliban“ viel zu sagen. Er fordert etwa ein Sachrecht für digitale Güter, also, dass digitale Güter mit physischen Objekten gleichgesetzt werden, und Geoblocking. Sie haben richtig gehört: Eine regionale Sperre von Internetinhalten durch Anbieter. Ansonsten würde der europäische Filmmarkt zusammenbrechen und es würde nur noch „Google & Co aus den USA“ geben. Oder der österreichische Fußball.Sie glauben doch nicht, dass der österreichische Fußball, der mittelmäßig ist, sich halten könnte, wenn es nur noch einen Markt gäbe? Dann wäre das Spiel Salzburg gegen Austria Wien nur noch sekundär. Dann gäbe es nur noch Real gegen Barca.“ Ob sich Herr Oettinger eigentlich am Dienstag das Match Österreich gegen Schweden angesehen hat? Wir wissen es nicht, Geoblocking sei dank konnte er es wohl nicht empfangen, in dem Land, in dem er sich gerade aufgehalten hat.

Verteidiger von VPN-Zugängen hält Oettinger übrigens auch für militant.„Sie sind in der Sache ein Taliban“bekam etwa mein Kollege zu hören, als er ihn gefragt hat, ob er mit Geoblocking im Zeitalter von VPN-Zugängen nicht gegen Windmühlen kämpft. Aber wir wollen mal nicht so sein. Unlängst setzte sich Oettinger etwa für den Ausbau der Datenautobahnen und digitaler Infrastruktur ein, der in Deutschland vernachlässigt werde. „Wir sollten lieber Schlaglöcher als Funklöcher in Kauf nehmen.“

Über seine einjährige Amtszeit sagte er: „Ich habe viele neue Wörter gelernt. Wir nominieren Günther Oettinger hiermit offiziell für den Wolfgang Lorenz Gedenkpreis für seine besonders realitätsfremden und industriegeprägten Aussagen zum Internet und der Beschimpfung von Journalisten und Aktivisten als Taliban.

12.09.2015, Altes Rathaus (Barocksaal) Wien. #WOLO15: Award-Gala für ausgezeichneten Kulturpessimismus // Fotocredit: Karola Riegler

12.09.2015, Altes Rathaus (Barocksaal) Wien. #WOLO15: Award-Gala für ausgezeichneten Kulturpessimismus // Fotocredit: Karola Riegler

PS: Zwei Tage nach der Verleihung des #WOLO15 fiel Oettinger erneut mit diversen Aussagen auf: Internetkonzerne wie Facebook sollen für die Inhalte, die über sie verbreitet werden, haftbar gemacht werden. Gewaltverherrlichung, Pornografie und Hassreden gehören verboten! Das sei schließlich auch im TV so. „Wir müssen nun überlegen, ob einige Vorschriften auf neue Dienste und Plattformen im Internet ausgeweitet werden können“, sagte Oettinger. Na dann. Auf zum #WOLO16.

Nominierungsrede von Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und Josef Ostermayer (SPÖ)

Kennen wir das noch? Die Leerkassette. Und die VHS-Kasette. Da ist Musik von Guns’n’Roses drauf. Und ein Film von Dirty Dancing. Legal kopiert. Damals waren das echte Privatkopien. Und dafür, das wir diese Kopie anfertigen durften, haben wir eine kleine Abgabe gezahlt. Und die wurde dann für die Künstler und kulturelle Förderungen verwendet. Völlig legitim war das damals.

Heute hören wir Musik via Spotify oder kaufen uns Lizenzen von Songs im iTunes-Store, oder wir besorgen uns Musik und Filme über andere Kanäle, wie ich es mal nennen mag. Keines dieser Dinge fällt unter die Definition Privatkopie. Denn die ist praktisch tot und die Songs, die wir streamen oder auch deren Lizenzen wir erwerben, gehören uns nicht einmal. Auch der illegale Download ist keine Privatkopie, sondern jetzt dank der Urheberrechtsnovelle offiziell wirklich illegal. Vorher: Grauzone.

Trotzdem sollen wir ab Oktober eine Abgabe zahlen und zwar auf alle Speichermedien, egal ob Notebook, Tablet, Handy, SD-Karten oder externe Festplatten, die so hoch ist, dass sie auch als verdeckte Steuer für den Staat noch lukrativ ist.

Die österreichische Bundesregierung hat die Abgabe auf all diese Speichermedien im Juli beschlossen – und zwar im Schnelldurchlauf. Hinter verschlossenen Türen haben sich ÖVP und SPÖ geeinigt, die Abgabe wurde ohne Hearing im Parlament durchgepeitscht.

Treffsicher und bewährt nennen sie es. Kulturminister Josef Ostermayer sagte etwa: „Mit der Weiterentwicklung der Leerkassetten zur Speichermedienabgabe wurde in Österreich ein Modell gewählt, das sich in vielen europäischen Ländern bewährt hat.“ Österreich macht also mal wieder das nach, was andere EU-Länder schon vorgemacht haben. Dass das nicht immer gut und zeitgemäß sein muss, nur weil es andere auch haben, wird ignoriert.

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) sprach von einer „zeitgemäßen Lösung“, mit der „alle gut leben können“. Seine Filter-Bubble möchte ich haben. Und die SD-Karte seiner privaten Kamera möchte ich auch sehen, um zu checken, wie viele Privatkopien er darauf gespeichert hat.

Ostermayer und Brandstetter haben sich ihre Wolo-Nominierung doppelt verdient: Dafür, die lauten Stimmen, die dagegen waren, dank Filterbubble gekonnt zu ignorieren. Und dafür, im Jahr 2015 eine Steinzeit-Abgabe einzuführen. Wir müssen wohl wieder auf Leerkassetten umsatteln.

Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert